Warum ein Kinomuseum?

Freudlose Gassen – Kinofriedhöfe – Overscreening? Ein Manifest zur Neuerfindung des Kinos

Proposals for a Modern Cinema

Einige Vorschläge zum Vorrang eines neuartigen, integralen Museumskinos seien hier vorgestellt. Sie zeigen Handlungsbedarf, bevor Fundamente des Kino zu Rudimenten verkümmern. Denn lebensfähige, nach außen legitimierbare Filmgeschichtspflege bedarf neben den selbstverständlichen Aktivitäten des Sammelns, Austellens und Publizierens – in hohem Maße

  • der würdigen, technisch und architektonisch kompakten Einrichtung eines klassischen wie experimentellen “Filmtheaters” – eben so als sozial-kulturelle Einrichtung zu denken wie auch als stimmungsgeladener Raum der vielfältigen Begegnungen beständig weiterzuentwickeln
  • einer inszenierten, am Film orientierten Aura und Atmosphäre sowie der performativen Einfälle im Spiel von Licht und Schatten der Rahmenprogramme und “Roadshow”-Traditionen
  • des verbürgten filmischen Originals von Bild und Ton als Filmbandoriginal: auf gut erhaltenen zeitgenössischen Bild- und Tonträgern – auch als Ansporn zu sich stetig verfeinernden Restaurierungpraktiken öffentlich zu diskutieren
  • einer fantasievollen, schaustellerartigen apparativen Authentizität, der frühere Kinoevents “rekonstruierenden” Vorführung – im theatralisch-gedachten, inszenatorisch durchwirkten Kinobetrieb mit vorgeschaltetem Gerätepark und schaustellerartig exponierten Kinoaushang- und Informationsmaterialien
  • quantitativ erweiterbarer und möglichst “lückenloser” Reprisen und Hommagen, Autoren- und Technik-Retrospektiven, dazu korrespondierender Vor- und Nebenprogramme – dies ales stets durch Verantwortung und einer Pflege dem noch spielbaren, aufführungsbedürftigem Archivmaterial gegenüber verpflichtet
  • eines filmkundigen, motivierten und von kreativen Anreizen beflügelten Personals.

All dies ist 2010 – zehn Jahre nach der Museumseröffnung am Potsdamer Platz – zu problematisieren, wissenschaftlich zu erörtern und in ein zukunftsfähiges, integratives Konzept eines Kinomuseums zu gießen.

Wundern sollte man sich über eine Frage ersichtlicher Provokanz: gereichen nicht 240 Kinoleinwände in Berlin zur Erfüllung des filmmusealen Auftrags “Bewahrung des Kinoerbes”?

Mittlerweile verblassen in der Hauptstadt authentische Filmgüter (Filme, Kinobauten & Produktionstechnik), währenddessen wir postmodern einer angeblichen „Altbackenheit“ zu entkommen versuchen und dabei das Multimediale und Urbane von 2008 zur Höchstform des Filmerlebens erheben (wie in einem Artikel im Tagesspiegel vom 26.07.2005 zu lesen war).

Am wichtigsten Standbein der Filmgeschichte sei erörtert: Wieviel an „klassischem Kinotheater” – einst die Urform des Films und sein schlußgültiges Zentrum – begegnen wir überhaupt noch? Wie viel oder wie wenig, es stimmt nachdenklich, bleibt uns im Alltag von der Dichte des Repertoires, selbst von den bekanntesten Klassikern oder von den Ausgrabungen des historisch Unbekannten? Was ist übrig von der facettenreichen, verzaubernden Kino-”Anmutung” früherer Lichtspielstätten geblieben? Und was ist vorzeigbar von technisch-immersiven “Spektakel-Verfahren” (Bild- und Ton auch als Schau- und Hörerlebnis in Farbe, Breitwand, 3-D und Raumton), oder vom kultigen Kintopp-Spiel origineller Kiezkultur? Was bleibt uns an identitätsstiftenden sozialen Räumen oder den Leinwandevents selbst jüngerer Dekaden? Sie scheinen einem Bedeutungswandel unterworfen zu sein oder sind seit ihrer Pressung auf Silberscheiben und den “Free-TV-Kinoabenden” aus dem Stadtleben verschwunden zu sein.

In den wenigen erhaltenen Traditionssälen dieser Kinostadt findet sich Filmgeschichtspflege nur zu Event-Anlässen, und dort, wo sie zu themenbezogenen Reihen verdichtet ist und Staatsauftrag bildet, fehlt das Wichtigste: ein “auratisches” Auditorium, themenbegleitende Rahmen- und Vorprogramme, produktionsgeschichtliche Exponate, eine variable oder zumindest normgerechte Technik sowie ein überzeugender Besuchsanreiz für den “alten Film”. Es mangelt nicht selten am überlieferten Authentizitätsanspruch in der “Filmkopienwahl”: ein nicht mehr zu übergehender Organisationsmangel in der Kinodarbietung, beklagen nicht wenige, ein Mangel, der den Kinobesuch zum Problem und Anlaß von Lamentos mache.

Widersprüchliches repräsentiert die Kinopraxis in den neuen Sälen auch der Filmkunstkinos, von der eigentlich nur mit dem Filmtheaterwesen unzureichend vertraute Verantwortungsträger bekunden, sie genüge vollauf dem Auftrag zur Filmgeschichtspflege und sei sogar noch “ausbaufähig”. Programmatisch häufen sich zwar auf der einen Seite Ballungszentren des Mainstreams (Multiplexe) oder auf der anderen Seite sich im Kellergeschoss versteckte Filmkunstvorführungen – aber nach Gründung des Fernsehmuseums (Artikel aus “Die Zeit”) scheint ein Kinomuseum nicht länger aufschiebbar. Denn das Kino arbeitet “fleißig an seiner eigenen Auflösung”, glaubt der Filmsemiologe Georg Seeßlen zu wissen (2005 in Der Zeit).

Nicht wenige Stimmen machten seit Eröffnung vieler neuer Kinostätten seit 1993 in Berlin aus ihrem Ersteindruck keinen Hehl: “Kohlenkellerkinos”, “Black Box”-Säle, “Popcorn-Kontainer”, “Schwimmbassinkinos” usf. wurde oft genug räsonniert. Auch technisch kommen viele international gültige Normen (so die der maßgebenden Society of Motion Pictures and Television Engineers, SMPTE, oder Empfehlungen der Fédération International des Archives du Film, FIAF [dortiger Leitfaden ist der “Advanced Projection Manual”]) kaum zum Tragen: die Projektions-Bilder und Töne hier wie dort erleiden mitunter Beschneidungen, wartungsresistente Unruhen, mangelnde Wandbreite oder unzureichende Ausleuchtung – und einige Sound-Prozessoren sind noch Fabrikate der 1970er Jahre. Amerikanische Zustände sind da nicht weit: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/24/24135/1.html.
Kritik muß also auch am sozial-architektonisch determinierten Kinoraum ansetzen: vom Technisch-Musealen abgesehen betrübt ein Mangel an Ambiente, Wärme, Kompetenz und Gastlichkeit sämtlicher Kinos – und beeinträchtigt somit Begegnungen und Diskussionen der Veranstaltungsteilnehmer mehr oder weniger.

Ein Negativtrend für die Kinohauptstadt erwächst daraus, schmerzlich eingreifend in das Selbstverständnis einer an Archivgütern reichen Kommune. Denn das historisch-verlebendigte “Film-Kino” (als Performanz und Kult im Sinne etwa Siegfried Kracauers) scheint unsichtbar geworden zu sein, während die gebührende (am geeigneten Kinoraum und bleibenden Themen arbeitende) Repertoire-Pflege in anderen Städten der Republik eine stärkere Strahlkraft entfalten konnte. Es möge bitte, wenn dieses Plädoyer als Defätismus aufgefaßt wird, entkräftet werden, wo und wann filmgeschichtliche Aufführungen zum letzten Male in Berlin “rundum” befriedigten: die Beispiele sind an einer Hand abzuzählen und wären nicht alltagstauglich.

Ein Tourist schildert Berlin-Eindrücke – noch vor dem Kinosterben datiert, aber bereits auf dem Klimax des Videokonsums:

Für einen (verhältnismäßigen) Provinzler ist in Berlin zunächst einmal die Größe der Kinosäle beeindruckend und die Tatsache, dass dort zur Berlinale-Zeit Filme gespielt werden, die man in Lichtspielhäusern dieser Größe und auf derart ausladenden Leinwänden kaum mehr gewohnt ist.
Sieht man dann etwa den neuen Film von Theo Angelopoulos, Trilogie: Die Erde weint, im über 900 Menschen fassenden Hauptsaal vom Royal Palast, bekommt man schnell ein Gefühl dafür, warum viele Cineasten das Anschauen von Filmen außerhalb eines Kinos geradezu als Zumutung begreifen. Ich kam nicht umhin, mich nach Verlassen des Kinos in meiner cinephilen Existenz unvollständiger als zuvor zu fühlen: Als Kind jener Generation von „VHS/DVD-Cineasten“ scheint man Fi[l]me vergleichsweise beinahe wie durch ein Teleskop zu sehen.
Noch immer ist das Kino ein magischer Ort, der sich abhebt von jedem großen Fernseher, jedem Home Theater und jeder noch so fantastischen DVD vor allem durch den „Raum zwischen den Frames“, den man vielleicht nur in seiner altmodisch-analogen Projektion überhaupt spüren kann. Godard hatte recht als er sagte, man hebe im Kino unweigerlich immer seine Augen hinauf zur Leinwand, während man sie beim Blick in den Fernseher senke.

Nicht weniger erstaunlich ist eine Eigenschaft von Filmbildern, die mir erst dann begegnet, wenn ich jenseits meiner alltäglichen Umgebung Filme schaue: Ihre genuine Fähigkeit nämlich, mir ein eigentümliches Gefühl von „Zuhausesein“ zu bereiten. Es ist eben nicht nur die so anvertraute Beschaffenheit eines Kinosaals, die mir in jeder noch so fremden Stadt sofort behaglich erscheint, sondern auch das, was dort gezeigt wird. Die Bilder nämlich, die überall die gleichen sind, egal, ob nun Angelopoulos im Royal Palast, oder in den verwaschenen Eindrücken meiner alten Wanderschauspieler-Videokassette. Im denkenden, erinnernden Wesen des Kinos, das seinen eigenen Kosmos an Erfahrungen, sein eigenes Bewusstsein hat – refugial abgeschirmt vor allem, was keine Eintrittskarte zu dieser Welt hat. Auch das politischste oder vermeintlich „realistischste“ Kino bleibt ein illusionsbeladenes Kuriosum, das seiner eigenen Grammatik (der Filmgrammatik und damit der „Lügengrammatik“) folgt, die eben grundlegend anders ist.

Im Kinosaal werden diese immerwährenden Faktoren gebündelt. Überall. Gebündelt auf einen Fixpunkt im Raum, von dem alles ausgeht und von dem abzulenken es unbedingt zu vermeiden gilt: Alle Augen zur Leinwand, dem Mittelpunkt der Welt.
Die vier Filme, die ich auf der Berlinale sah, halfen allesamt, diesen Eindruck von der Eindringlichkeit und Alternativenlosigkeit des Filmesichtens in einem Lichtspielhaus zu verstärken.

(Aus: http://www.je-b.de/archives/000038.html)

Im Kinomuseum Berlin e.V., das wäre anzuregen, könnten neben Projekten, die an den Schauspieler-bezogenen oder standortpolitischen Idealen ausgerichtet bleiben, auch kinobezogene Ideen diskutiert werden – der Verein kann deutlich mehr in Bewegung setzen, um ein Filmmuseum aus seinem veranstaltungsbezogenen Korsett zu befreien. Der Walk of Fame in Hollywood – der dortige Boulevard der Stars – ist auffällig von historischen Kinostätten und Kinomuseen flankiert, dazugehörig: das CHINESE THEATRE und das für die American Cinemathque als Dauerdomizil auserkorene EGYPTIAN THEATER, das sich einer “state-of-the art-projection & sound quality” zurecht rühmen darf.

Zudem ist einem Hollywood Entertainment Museum in Los Angeles gleichberechtigt ein Hollywood History Museum und ein Hollywood Studiomuseum beigeordnet: kein Mangel also an Exponaten gerade auch aus der Filmproduktion und Filmtheatergeschichte – und diametral zu Berlin situiert, an dem “kinematographisch” von einer Verdrängung, einer Entfremdung und Teilentsorgung der eigentlichen Wurzeln und Grundwerte des Kinoerlebens gesprochen werden darf, sofern nicht korrigierend eingegriffen wird.

Es sei gemahnt: Filmwerke vergangener Epochen sind nicht exklusiv für Monitormedien oder für (auf Individualität verzichtende) durchnummerierte Center-Kinos komponiert worden, sondern sie bedürfen gewissenhafter, kunstvoller Verwertungsformen, damit Menschen sich kulturell, individuell und kollektiv entwickeln können. Nichts anderes erwarten wir wie selbstverständlich vom Kulturanspruch der Sprechbühnen und Theatereinrichtungen, um die viel Wirbel ist; in der Kinolandschaft indessen ist das Verschwinden an Fundamenten ohne Aufschrei vonstatten gegangen und hat seinen Tiefpunkt noch nicht erreicht. Die Umwertung hinwiederum des Museumsverständnisses zum Video-Archiv – dies befürchten die Kritiker des Videokonsums – findet ihren Ausdruck nicht von ungefähr auch in der Schwerpunktverlagerung der Deutschen Filmmuseen zu Medienmuseen, in denen eine kontinuierliche, integrierte und kontemplative “Film-Show” Monitorwänden oder Würfelmonitoren anvertraut werden könnte: http://kinoberlin.blogspot.com/2009/07/ausstellungseroffnung-boulevard-der.html. Die “Auslagerung” von rudimentärer Filmtechnik nunmehr ins Technikmuseum erscheint als Notbehelf, denn jede Abspaltung von Mensch und Maschine, auch von Kunst und Handwerk ist dem Filmwissenschaftsverständnis alles andere als förderlich.

Die Schaffung eines Kinomuseums scheint nachhaltig befähigt zu sein, mangelnden Bezug oder geringes Verständnis der Öffentlichkeit zur Praxis der Filmproduktion und Postproduktion, zur Restauration und Distribution, schlicht: zur gesamtfilmischen Vitalität und zur Arbeit der Archive und Restaurationsschmieden neu herzustellen. Erst der real-”schaustellende” Filmtheaterbetrieb im restituierten Zusammenhang wird ein Publikums-Staunen vor den Mühen, Erzeugnissen und Kostenaufwendungen der Filmarchive sowie prinzipiell auch der Produktionsstätten erwecken. Ein Interesse an der Arbeitssweise der Filmkopierwerke, der Kameraschmieden, der Wirkungen der Projektionskultur und der grundlegenden apparativen Voraussetzungen könnte neu entzündet werden, wenn das Bewußtsein wüchse, daß allein das “Abspielen” von Filmen ohne eine veranstaltungsfördernde “Schau drumherum” nicht mehr rundum begeistert, zumal Filme heute überall als Videomedium verfügbar sind und der Kunde außerhaus viel mehr erwartet als Video-Content auf lediglich größerer Leinwand.
Eine mögliche Perspektive: es gäbe real existierende Alternativen und Akteure, die sich gerne für eine avanciertere Art des Kinomachens zusammenfänden, allerdings in das ”ergonomische” Kinokonzept der Kommunalen Kinos schwer integrierbar sind. Hierzu zählen Filmhistoriker, Archivare, ehemalige Kinobetreiber, Sammler, Ingenieure, Journalisten, Kinogeher und Privatiers. Zahlreiche Internet-Foren wie www.berlinerperspektiven.de , www.filmforen, www.deutscher-tonfilm.de, www.nach-dem-film.de, www.filmvorfuehrer.de u.v.a. Diskussions- und Clubbereiche, aber auch private Filmarchive oder Filmantiquariate unterbreiten ein Potential, das großenteils im öffentlichen Museumsbereich ungenutzt blieb, aber einem kommenenden Kinomuseum vielseitige Dienste erweisen könnten.

Mortalität und Reversibilität des “Lichtspieltheaters”

Denken wir an große und kleine Filme – ein jeder trägt einen intimen Klassiker und sein angestammtes Lieblingskino im Herzen – und träumen uns den “idealen” Raum drumherum, der der Kinogeschichte auch jenseits des Kanons von Evergreens ein weitflächigeres Sammelbecken gibt, aber auch das Repertoire mit verprellten Filmliebhabern und Filmfachleuten wieder zusammenführt, so landen wir in Berlin im Nirvana – und dies ist kein fatalistisches Lamento, sondern durch Kompetenzdefizite verschuldet. Unumwunden wird die Hauptstadt zur Jahrtausendwende im Ausland bereits als “größter Kinofriedhof der Welt” etikettiert. Die Zusammenbrüche historischer Spielstätten zeigen musealen Handlungsbedarf: KOSMOS FILMTHEATER, MARMORHAUS, GLORIA-PALAST, GLORIETTE, ASTOR FILMTHEATER, FILMBÜHNE WIEN, ROYAL PALAST, IMAX DISCOVERY CHANNEL THEATER aber auch renommierte Programm- und Szenekinos wie KLICK, SCHLÜTER KINO, LUPE 1 & 2, GRAFFITY, OLYMPIA, FILMBÜHNE AM STEINPLATZ u.a. mehren den Verlust in einer Kinoszene, in der vornehmlich “fabrikartig” betriebene Kinostätten am Leben gehalten werden. Selbst der große Saal des ZOO PALAST ist in seiner jetzigen Form ab Mitte 2008 Vergangenheit, und an diesem Determinismus ist in anbetracht der vorliegenden Umbaupläne der Grundstückseigentümerin ebenso wie der Kinobtreiberin nicht das Geringste mehr zu ändern. Andererseits schwelt der Verdruß um Art und Weise des modernen “Filmtheater-Abkömmlings”, welcher wie folgt konturiert ist: neue Kinosäle wuchsen seit der Wende wie “Pilze aus dem Boden” (der avanciertere Typus des früheren Center-Kinos, der Synergieeffekte durch eine Matrixisierung nach dem Multiplex-Paradigma zusammenfaßt) -, ein Typus, den viele in ihrem Kinohunger oft nur routinegemäß oder mit Überwindung aufsuchen. Solches Erleben kann spürbar das alte Credo der Filmtheaterwirtschaft immer seltener vital erfüllen, in dem es hieß: “Mach’ Dir ein paar schöne Stunden – geh’ ins Kino!”.

Auf eine kritische Anfrage zur Situation etwa der Alt-City von Westberlin war von Gewerbetreibenden (City-West Global City u.a.) rund um den Breitscheidplatz ein positives Statement zu vernehmen:

Selbstverständlich wären auch wir froh, wenn in den vergangenen Jahren nicht so viele Kinos in der City-West geschlossen hätten. Aber bitte bedenken Sie auch, dass es weiterhin in keinem Bezirk dieser Stadt so viele Kinosäle gibt wie in Charlottenburg-Wilmersdorf – auch wenn nicht mehr viele davon direkt am Kurfürstendamm / Tauentzien sitzen. […] Was der City-West sicherlich im Wesentlichen fehlt ist ein modernes Multiplex-Kino, welches es mit den Häusern am Potsdamer Platz „aufnehmen kann“. Dies war jedoch weder im Marmorhaus, noch in der Filmbühne Wien und leider wohl auch nicht im Royal Palast umsetzbar – was alleine durch die Gebäudestruktur bedingt war. Glücklicherweise gibt es derzeit recht weit fortgeschrittene Pläne zum Umbau des Zoo Palastes. Sicherlich sind auch Sie der Meinung, dass es wenig Sinn macht, unzeitgemäße Kinopaläste aufrecht zu erhalten, die keiner mehr besuchen will. Oder wie oft waren Sie persönlich in letzter Zeit in City-West-Kinos? Oder auch in den letzten zwei Jahren im desaströsen Royal Palast? Ich kann Ihnen aus eigener Erfahrung sagen, dass es, auf Grund des maroden Zustands und der unmodernen Sitze, bzw. auch des viel zu großen (meist leeren) Saals im Zoo Palast, kein großes Vergnügen mehr ist. Wenn Sie den Vergleich mit dem Ausland suchen, dann recherchieren Sie doch bitte wie viele Kinos es z.B. auf den Champs-Elysées gibt oder der 5th Avenue oder in der Oxford Street. Da kann sich „unser Boulevard“ noch immer sehen lassen – auch in Bezug auf Kinos. Und auch im innerstädtischen Vergleich braucht sich der Kudamm in Bezug auf Kultur nicht zu verstecken – denn in der Friedrichstraße und Unter den Linden gibt es nur deshalb kein Kinosterben, weil es dort KEINE gibt! Der Saturn wird im übrigen keine x-beliebige Filiale, sondern der größte Elektro-Markt Europas. Studien im Vorfeld haben ergeben, dass dies der Passantenfrequenz und dem Besuch nicht nur des Europa-Centers, sondern der gesamten City-West sehr zugute kommen wird und viele Käufer von den Shopping-Centern in den Randbezirken anlocken wird. Und wenn die Leute dann erst einmal hier sind, werden Sie vielleicht auch eher wieder hier in Kino gehen, so es denn dann ein repräsentatives und bequemes Kino-Center gibt. Ihre Aussage, dass von einem Boulevard nicht mehr die Rede sein könne, können wir auch nicht nachvollziehen, geht es doch dem Kurfürstendamm so gut wie nie seit dem 2. Weltkrieg. Es gibt (von der „Investitionsruine“ Haus Wien abgesehen – auch hier naht eine baldige Lösung) kaum Leerstand. Und die Geschäfte gehen hervorragend und übrigens auch deutlich besser als in allen anderen Einkaufsstraßen der Stadt (seit 18 Monaten ständiger Aufschwung im Einzelhandel während es stadtweit weiterhin Rückgang gibt). Dem wachsenden Tourismus sei Dank! […] Seit der Wende gab es noch nie so viel Nachfrage von Gastronmen nach Flächen am Kurfürstendamm, die jedoch kaum befriedigt werden können, weil es schlicht und einfach keine Flächen gibt. Das Geschäft mit dem größten Umsatz auf den Champs-Elysées ist übrigens … der Virgin Megastore (Medienkaufhaus)- und dass seit Jahren… Ich denke nicht, dass wir etwas verklären, denn die Fakten sprechen eine deutliche Sprache. […]

Die Nostalgie nach dem Lichtspieltheater trifft im Mahlstrom der “Multimedia-Community” nicht überall auf ungeteilte Erfüllung und Loyalität der Menschen, die sich im Verdruß im Home Cinema resp. an der Spielkonsole sozialisieren – und somit auch ghettoisieren. Auch darum verkümmert das Kinoerlebnis, sobald in der theaterbasierten Filmbegegnung das austauschbare Ambiente obsiegt. Jene Symptome sind in der Etablierung des Berliner Filmmuseums in den vergangenen Dekaden als zunächst noch wenig dramatisch oder unabwendbar erachtet worden, zeigen aber nunmehr ein Defizit der “Grundsteinlegung” des Potsdamer Platzes – und möglicherweise auch einen Irrweg in der Popularisierung des kulturpolitischen Standortverständnisses. Große Teile des Genre-Publikums, somit auch des Reservoirs der Hollywood-Klassiker ebenso wie des deutschen Tonfilms bis 1962, wurden in den kommunalen Kinos verkannt und sind für diese Kinostätten als Programmzukunft verloren: einige Kinos gelten ganz allgemein in cinéastischen Kreisen inzwischen als “verbrannt”. Dem entgegenwirkende, bislang nur marginal herauslesbare Veranstaltungen werden von mit Film beauftragten Institutionen – jenseits der Erfolge der Berlinale-Retrospektiven und abseits des Potsdamer-Platzes – in die Bezirke “verlegt”, wofür jüngst eine Johannes-Heesters-Filmreihe zeugte, mit der man wieder in Ermangelung eines Museumskinos in die URANIA am Wittenbergplatz ausweichen mußte; wofür eben so auch Stummfilme künden, die zwar in Musikbegleitung, jedoch mit provisorischer Video-Projektion – z.B. im BMW-Verkaufssalon am Kurfürstendamm – gastieren. Das kann nach internationalen musealen Maßstäben nicht zuletzt der FIAF als unbefriedigend erachtet werden und ist dringend durch eine professionelle Alternative zu ersetzen.

Vorbild ausländischer Institutionen

Im Gegensatz zu Institutionen wie etwa dem National Museum of Photography, Film and Television im englischen Bradford, die neben dem Fernsehbereich einen hochgradig aktiven kinematographischen Bereich „vorführen“ (mit zwei eigenen Museumskinos ausgestattet: “gerüstet” selbst für kinematographische Exotica wie 3-D-Streifen, 3-Streifen-Cinerama oder 70mm-Todd-AO) besitzt unsere Berliner Dauerausstellung zu Film & Fernsehen zwar tausende an (leider teils unzulänglich kalibrierten) Fernsehgeräten, jedoch keinen einzigen Kinoraum, und sei er noch so bescheiden oder unterfinanziert. Die Verweise auf sporadisch kooperationsbereite Kinos sind nicht tragfähig, da diese Anbieter für historische kinematographischen Sonderformen und Formate nicht adäquat gerüstet sind und nicht wenige Kinosäle seelenlos wirken, zumal das Betriebs-Credo einiger deutscher Kinobetreiber jedwedes historisches Ambiente ausblendet – ein Trend zum für Marken-Label wiedererkennbarer Multiplex-Säle, die keine Differenz zulassen, sondern nur Wiederholung bleiben.

Nehmen wir uns zum Vorbild, daß andere Filmmuseen eigene Spielstätten unterhalten und darüberhinaus populär in historischen Kinostätten und Palästen gastieren (bspw. bespielte zusätzlich das Filmmuseum Amsterdam seit Jahren das BELLEVUE CINERAMA mit diversen Genre- und Breitwandfilmreihen, ebenso bespielt die American Cinematheque in L.A. das EGYPTIAN THEATRE mit 3-D-, Breitwand-, Technicolor- oder 70mm-Breitfilm-Reihen: mehrmals im Jahr) und das CINERAMA SEATTLE zeigt 70mm, CinemaScope- und 3-Streifen-Cinerama-Vorführungen. Anderenorts verfügt das BELLARIA in Wien seit Jahrzehnten über ein Stammpublikum für den frühen deutschen Tonfilm im perfekten Ambiente (http://www.kleines-kino.de/AnzeigeA.php?id=86), das in den vorhandenen Berlin-Kinos am Potsdamer Platz nicht gegeben ist.

Kinematographie-Pflege wurde in Berlin in Anpassung an die Neuansiedlung am Potsdamer Platz mehr oder weniger “verbaut”. Hierzu allgemein eine scharfe, aber als gut gemeinte Warnung aufschlußreiche Anmerkung eines Technik- und Medienpublizisten, die zu massiven Änderungen ermutigen sollte:

Unsere Voraussagen aus den Jahren 1999 und 2002 waren demnach doch nicht so völlig daneben, wie man es aufgrund der Reaktion im filmhistoriographischen Establishment einst hätte meinen können. Das Nacheilende des deutschen Spätkömmlings spiegelt sich (im europäischen Vergleich) vielmehr auch im Bereich der filmgeschichtlichen Institutionen und ihrer Didaktik, dargestellt durch einen anscheinend unabänderlichen und stets trennenden Dualismus zwischen hehrer und hoher Film-Kunst hier (samt „menschelnder“ Personengeschichte) und jenem „seelenlosen“ Technik-Handwerk dort. Dies führte letztlich als Haltung auch zu einer hermetischen Bunkermentalität der filmhistorischen Gralsverwalter, die ich als Publizist stets zutiefst bedauert habe. Erst durch das Spätkömmlinghafte wird allerdings der Drang nach baulichem Pomp, ersten Lagen, repräsentativen Gesten, gesamtstaatlichem Auftrag, präsidialem Auftritt, bukolischen Ausstellungsprojekten fürs niedere Volk und fetischhafter Inszenierung filmischer Überbleibsel verständlich. Es bleibt einfach fatal, wenn das Gravitationszentrum eines Filmmuseums keinen integrierten, permanenten, lebendigen Film-Kino-Betrieb kennt. Wenn schon diese Grundlage fehlt, dann kann es wohl kaum zur tätigen Rekonstruktion eines Filme produzierenden Betriebs kommen, sobald das Zeitalter des Filmträgers untergegangen ist. […] Wenn man sich andererseits vor Augen hält, dass von 3.000 Kinos vielleicht 300 übrig bleiben und vielleicht 3 weitere endlich mit dem Gedanken des Film-Museums Ernst machen werden, statt den Rock von Frau Rökk, das Sakko von Herrn Rühmann und die Unterhosen von Frau Dietrich fetischhaft ins Zentrum der historischen Aufmerksamkeit zu stellen, dann überlagert sich der Aufbruch ins neue digitale Kino-Zeitalter mit erheblichen Verlusten. Neue Kulturen des Kinos müssen erst noch erarbeitet werden. (Aus: http://www.polzer.org/WdK8.pdf)

Wie wäre nun in anbetracht eines solchen Trends (und zu erwartenden Umkehrtrends) eine Alternative projektierbar, wenn selbst traditionelle Palast-Kinos und die bezirkliche Nachspielkultur seit Unzeiten einem wirtschaftlichen Friedhof gleichgesetzt werden und andererseits das unterdrückte Bedürfnis nach der Wiederkehr des Repertoire-Kinos letzlich dem Sarkasmus oder Pessimismus Vorschub leistete, weil Verantwortungsträger “weghörten”?

Konsekutiv zur Notwendigkeit eines Filmgüterarchivs wird eine Evaluierung dieses Projektantrags auf Einrichtung eines Museumskinos erbeten, welches gemeinhin anerkannten Anforderungen an erforderliche und stimmigere Wiedergaben historischer Filmverfahren und musealer Veranstaltungen gerecht wird. Begründung: zahlreiche Filmkollektionen der SDK (angefangen bspw. bei P. H. Vollmanns und J. Tunats Raumton-Magnettonkopien über 3-D-Filme oder Agfacolor-/Technicolor-Filme und evtl. Nitrokopien bis hin zu 70mm-Breitwandkopien oder digitalen HD-Mastern) „verstauben“ mangels eines permanent eingerichteten und exponiert auftretenden Kinobetriebes. Tragischerweise bleiben außerdem hochwertige historische Gerätschaften der Film- und Kinotechnik in SDK-Sammlungen nutzlos im externen Archiv deponiert und verlieren ihre Funktion, wenn sie nie performativ eingesetzt werden. Mit Verlust des Wertes dieser Technik wird aber auch die Auflösung des veranstaltungsbezogenen Potentials der ihnen zuordnenbaren Archivgüter, konkret die Entwertung vieler bedeutsamer Archivkopien (die auf modernen Anlagen in nur provisorisch hergerichteten Sälen oft nur in verminderter Qualität oder eben gar nicht gezeigt werden können) akzeptiert. Daher entspräche die Errichtung eines Museumskinos, das kompatibel für möglichst viele Film-, Bühnen- und Videoverfahren ist, einer Notwendigkeit, musealen Mindestpflichten und früheren Versprechungen an Spender der Kinemathek, weil es das letzte Kino in Berlin sein wird, das überlebt.

Im Meer der Archivfilme – zur Unerschöpflichkeit des Filmbandoriginals

Der Archivverbund sowie der Dachverband kommunaler Kinos und Kinematheken besitzen andere und erweiterte Bezugsmöglichkeiten für die attraktive Disposition eines Repertoire-Kinos als die dem privaten Wettbewerb von Uraufführungen in aller Markthärte unterworfenen Filmtheater. Es darf in Museen nicht nur gesammelt und repräsentiert werden, es muß auch regelmäßig “entstaubt” und permanent vorgeführt werden. Vergessene und großenteils unbemerkte Schätze fristen ein “lichtloses” Dasein, da es für filmgeschichtliche Aufführungen der Filmmuseumsbestände zu wenige Leinwände gibt, die ein Regelprogramm anzubieten imstande sind. Der Verweis auf sicherlich erfreuliche Kooperationen mit anderen Kinos bildet nicht mehr als nur den “Tropfen auf den heißen Stein”: man studiere die Programme und Performanzen und man erkennt überall das kläglich akzeptierte Berliner Provisorium.

Das Manifest eines Museumskinos wird daher die gewaltigen Schätze der staatlichen und privaten Archive als Fanal eines Aufbruchs zusammendenken müssen: wir benötigen in unserer Hauptstadt (ähnlich den Metropolen Paris, London oder New York) einen ausgeprägten, arrivierten Repertoire-Kinobetrieb “around-the-clock” – mit allen Ingredienzien früherer Filmpaläste und klassischer Ladenkinos als internationalen Publikumsmagneten und als permanenten Anlaufpunkt.

Ein neues Kinomuseum – Impulse für einen multivariablen Ambitus in der Stadtgeschichte Berlins

Es sei ein Paradigma und bildet die essentielle Forderung dieses Aufrufs, jedem Filmthema ein audio-visuell stimmiges, d.h. unverwechselbar beeindruckendes Ambiente zu verleihen. Das greift speziell in der Kinoausstattung direkt auf die variierbare Innen-Architektur, wechselbare Beleuchtung, themenbildende Wandvisualisierung oder auf kinematographische und expositionelle Möglichkeiten einer speziell hierfür hergerichteten universellen Spielstätte zu. Was zur Gänze realisierbar scheint, da beachtliches Know-how und anerkannte Spezialisten hierfür wären sind und nur eingeladen zu werden brauchen.

Allerdings: ein Raum, resp. der “Standort” des neuen Kinos, ist noch nicht gefunden – jedoch beflügeln seine Inhalte schon jetzt, was dem Menschen an Phantasie gegeben ist, denn wir verfügen in den theatralischen Künsten über grenzenlose Gestaltungsvarianzen (Performativitäts-Theorien), die noch nicht einmal zu einem Bruchteil des Realisierbaren für das Kino injiziert wurden (so lange Kino nur als kalt-funktionale Abspielstätte rangiert). Machbar wäre vieles: wir könnten jederzeit klassische Filmtheater simulativ und zitativ zurückholen in eine neues, lebendiges Kinomuseum, denn die hinterlassenen Theaterarchitekturen sind photographisch-archivarisch sorgfältig festgehalten worden. Wir müßten daher – metaphorisch umschrieben – nur den spartanischen Foyers und Saalwänden eines neuen Kinomuseums eine unbegrenzte Varianzbreite angedeihen lassen, indem wir ihnen Projektionen versunkender Kinoauditorien anverleiben. Ein Beispiel, welches dies illuminiert: Eine Fritz-Lang-Vorführung wird von Dia-Projektionen des UFA-PALAST AM ZOO eingeleitet; dessen heute nicht mehr existentes Auditorium wird simulativer Bestandteil einer Dia-Aufprojektion auf Saalseitenwänden oder auf Leinwand oder Flächen des Foyers. Wir finden uns unerwartet in einer Zeitreise wieder: in einer vergangenen Stadtepoche, in denen der gezeigte Film einst seine Premiere erlebte. Im Eingang des Museumskinos durchstreifen Sie simulativ den Zeittunnel der Epochen und den Spiegelsaal optischer Illusionen. Es erwartet Sie das „chamäleonartige“ Foyer mit den lebenden Wände aus alten Stadtansichten, dem frühen Kintop und dem Varieté. Verweilen Sie vor illuminierten Photo-Collagen der Kino-Baumeister und filmtechnischen Wunder. Folgen Sie einem Rundgang zu noch unbekannten Berliner Stadtgeschichten und zum Kabinett der rotierenden Filmbildapparate. Nehmen Sie teil an Filmposterausstellungen, am wöchentlichen Flohmarkt und an sonntäglichen Sammlerbörsen.

Wechselnde historische Verkaufsthequen, technische Equipments, Exponate und Beleuchtungen oder Souvenirshops schaffen ein anhaltendes Interesse auch am Rahmenprogramm eines eben so alten wie neuartigen Filmtheaters – als Never-Ending-Story.

Einen festen Topos konstituiert dabei auch das zeitgenössisch-klassische Vorprogramm: dieser Fundus an populären Wochenschauen, Zeichenfilmen, themenbezogenen Filmmusiken (auch des “Hörkinos”) erscheint unerschöpflich und nahezu ungenutzt.

Bereits im Vorraum und Foyer bieten sich Versatzstücke historischer Billettautomaten, ehemaliger Kinotransparentanzeiger und Kassenhäuschen an: so gelobte der frühere Kinematheks-Leiter einst dem rührigen “Kintopp-Macher” Bruno Dunst (SCHLÜTER LICHTSPIELE) die Schenkungen seines Interieurs im künftigen Filmmuseum wieder auszustellen – was allerdings nur in einem Kinomuseums-Projekt zur Geltung käme und deswegen leider nie realisiert werden konnte.

Die aktivere Einbeziehung der Mitglieder des Kinomuseum Berlin e.V., aber auch der privaten Filmfreunde und Sammler ist unabdingbar für den Erfolg eines solchen Projekts: diverse Projektvorschläge wie z.B. umfangreiche Filmtrailer-Shows, Sammlerkopien-Präsentationen, Plakat- und Fotogalerien und mehr wären in ihrer Verdichtung und Wechselwirkung imstande, versunkene “Kinoerinnerungen” mit eindringlicher Emotionalität zurückzuholen, was andererseits bei rein zweckfunktionalem Abspiel eines Spielfilms sich schon nicht mehr einstellen würde, am wenigsten in den Kinoneubauten seit den 1990er Jahren.

Der verständlichen Nostalgie-Furcht der Museen, daß Nostalgie auch sektenartig umgreifen könnte, ist zu entgegnen: abschaffen läßt sich Nostalgie nicht. Zwar sorgen Nostalgiker durch Schwärmerei oft für Humor, jedoch sind sie in Berlin eben so ein nicht ernst genommenes Publikum geworden. Der Stachel der Filmwissenschaft gegen das industrielle Kino seit den 1960er Jahren (Filme- und Kinomacher) hat somit – gedanklich zur Antithese gedreht – eine neue Minderheit mit zwar kreativem, aber brachliegendem Potential erzeugt. Werden deren Filmvorlieben mitunter doch einmal in einem Zufallskonzept berücksichtigt, so doch leider in deprimierenden Kinosälen und in unzumutbaren Verleihversionen. Aufgrund dieser Dissoziations- und Aufspaltungs-Phänomene (obgleich auch die Filmavantgarde und auch Protestbewegungen schon wieder “kinomuseumswürdig” wären) sei hiermit auch einmal für das avancierte historische Überwältigungskino plädiert, dessen Potentiale und Technologien verdrängt werden, dennoch aber zur Kinogeschichte gehören.
Von der jüngeren Filmwissenschaft abgelehnte UFA-”Schnulzen” um Röck und Albers der Vor- und Nachkriegszeit finden daher bewußt Eingang in diesen Museumsvorschlag, weil diese Epoche zur wechselhaften deutschen Geschichte und zum Genre-Kino dazugehört und hinwiederum nach geschmäcklerischen Maßstäben ausgegrenzt wurde. Röck, Albers, Rühmann und Dietrich interessierten im Berlin seit der Jahrtausenwende zwar primär ein Ausstellungpublikum, aber die Barriere zu den postmodernen Postdamer-Platz-Kinosälen, in denen auch deren Filme gezeigt wurden, erscheint unüberwindlich: kaum ein Cinéast fühlt sich dort wohl und sieht sich außerhalb der Filmfestspiele alte Filme an. Ebenso kann und sollte das berlin-spezifische Underground-”Off”-Kino reanimiert werden, wenn dessen Filme in anderen Programm-Kinos nicht mehr gezeigt werden (und insofern involvierte Akteure solche Themen betreuen und fernerhin apparativ und technisch ausarbeiten, vorführen und in einen aktuellen sozialen Konnex gießen könnten).

Die einseitige Bilanz des berliner Repertoire-Spiels beweist die Unausweichlichkeit eines gesonderten Spielbetriebs: denn wenn im bekanntesten Staatskino der Republik in 40 Jahren noch nie Klassiker gezeigt wurden wie El Cid, The Sound of Music, Alamo, Kabinett des Prof. Bondi, die sog. Dirty-Harry- oder Oswald Kolle-Filme (wurde mir von der Nostalgie-Fraktion direkt zugeflüstert), Lord Jim, Zulu, Cleopatra, Die Zehn Gebote, Samson und Delilah, Patton, Hello Dolly, West Side Story, Zirkus Welt, Gigi, Die Gewaltigen, Exodus, Katanga, Land der Pharaonen, Schwarzwaldmädel, In den Schuhen des Fischers, Das Buch Ruth, der Fischer von Galiläa, Die Befreiung 1-5, Edgar-Wallace-, John-Wayne-, Jerry-Lewis- und Karl-May-Reihen, Peter-Alexander- und Maria-Schell-Filme usw. usf. entfallen – dann haben Museumsstätten ihren Auftrag nicht ganz ernst genommen und sich von der Kinogeschichte und dessen Publikum (so, wie es an und für sich existiert) entfremdet.

Technik, die begeistert

Von nicht geringerem Reiz ist die Erschaffung des “Gläsernen Bildwerferraums”; auch hierzu ein konkretes Szenarium: hereinströmende Besucher erhalten die Chance, etwas vom Alltag und der Betriebsweise einer Filmbandvorführung mitzuerleben, sie können die unsäglichen Mühen und Konzentrationen, das Lampenfieber und die apparativen Abläufe der Vorführungen geradezu physisch verspüren. Ein “gläserner Bildwerferraum” präsentiert uns viele eindrucksvolle, gußeiserne Monumente der Kinematographie: darunter einen Blick auf große, sich bewegende Filmspulen oder tonnenschwere Projektoren, glühende Lampenhäuser und rasende Filmumspulvorrichtungen sowie universelle Steuerungsvorrichtungen der Programmabläufe. Es werden (in der sog. “Herzkammer” eines jeden Filmtheaters) nur klassische und restaurierte Projektoren der “Getriebebausweise” reinstalliert, und es gibt auch ein Wiedersehen mit den einstigen “Universal-Projektoren” von ZOO PALAST und DELPHI PALAST, die zwischen 1958 und 1987 dort ihren Dienst verrichteten: den legendären Bauer-Projektoren “U2”, die uns, zumal sie liebevoll archiviert und restauriert wurden, alle klassischen 35-mm-Filmbandoriginale auf’s Neue in höchster Güte zurückbringen werden und auch für das “Monumentalfilmformat” 70 mm aufwendig vorgerüstet sind. Exponiert wird in dieser Techno-Topographie nicht zuletzt auch Soundtechnik die filmische Neu- und Altproduktion miteinander zu neuen Hörerlebnissen versammeln: es dürfen klassische “Röhrenverstärker” (analog zum klassischen Lichtton der deutschen Klangfilme) ebenso aus ihrer archivarischen “Stummheit” erwachen (die Kinemathek-Sammlungen bergen zahllose Werte historischer Beschallungsanlagen), wie auch neueste Sound-Prozessoren und Lautsprecher (entgegen den heutigen Substandards) eminent brillante Erlebnisse gegenüberstellen. Uralte oder brandneue Seh- und Hörerlebnisse werden ein langjähriges Stammpublikum unterschiedlichster Kreise gewinnen können und selbst für Studios und Produzenten ein begehrtes Referenzkino unter Beweis stellen können.
Eine dauerhafte Bleibe könnten in einem Kinomuseum die technologischen Museumsschätze von Skladanowsky, Seeber oder Meßter finden, die erst in diesem Rahmen vermittelbar wären. •Alles auf einem Areal: ein Zentrum der Moving Images und Changing Sculptures.

Das sich chamäleonartig verwandelnde Foyer – eine Funktion des universellen Raums

Das “anverwandlungsfähige” Foyer gerät somit zur Reise in die Vergangenheit: neben Exponaten der Kamera- und Vorführtechnik finden sich panoramatische Wandkollagen klassischer Berliner Filmtheater, Filmplakate sowie über PC-Stände Datenbanken für die Kinoarchitektur-, Film- und Museumsrecherche. Die Souvenir- und Büchershops sind in dieses Szenario integriert.

Es sollen zukünftig wechselnde Ausstellungen bei freiem Eintritt und regelmäßige Filmsammlermärkte ein festes, kommunikatives Zentrum für medial Interessierte darstellen, die sich mit der Vergangenheit des Films befassen, und viele nach Jahrzehnten wieder “sicht-” und “anfaßbaren” Exponate (siehe Gerätesammlung des Filmmuseums) werden eine integrative Nachhaltigkeit für einen tätigen, im Museum inhärenten Lichtspieltheaterbetrieb entfalten, der das Repertoire aus dem Ghetto des DVD-Konsums befreit und die frühere Strahlkraft des Filmbandoriginals (in Technicolor, 3-D, 70mm, CinemaScope und VistaVision lauteten die Attribute der “Goldenen Kinoära”) zurückholt: zurück auch auf die übergroße und tief gekrümmte Breitleinwand als Event des Schauens und Staunens.

Die Stummfilme werden einen kullissenartigen Wechsel des Kinointerieurs folgen lassen: aus dem vorherigen Breitwand-Palast wird in wenigen Minuten ein Art-Déco-Kino im Stil des Nickelodeon-Typus, das zurück in die” Goldenen 20er” versetzt. Eine hierfür flach gespannte Roll-Leinwand soll eine unbeschnittene Projektion zum Markenzeichen des neuen Kinomuseums machen, und ein zeitgenössisches Klavier, ein “Kinoerzähler” sowie technische Vorrichtungen zur Vorführung der brillanten Schwarz-weiß-Nitrokopien runden das Wunschkonzept eines “vollkommenen Kinos” wie es sich ein André Bazin stets gewünscht haben mag, ab.

Schon Henri Langlois aber, der Pariser Kinematheks-Gründer, soll einmal beklagt haben, Filmmuseen seien heute große Mausoleen, in denen Filme beerdigt würden. Diese Furcht erscheint zur Jahrtausendwende brisanter und aktueller denn je, wo ein Rückzug des Filmerbes auf die Repräsentation auf Monitormedien und elektronischen Ersatzträger kein befriedigendes Zeugnis der Überkommenschaft vermittelt, die uns gerade der Film als hoch auflösendes Filmbandoriginal (und daran angeschlossen eine Filmtheaterkultur) eindringlich und “phantasmagorisch” ins Gedächtnis eingeschrieben haben. Es darf deshalb nicht so bleiben, daß Filmarchivierung, Restaurierung und Ausstellungen unverständlicherweise von der Grundlage des filmischen Erlebens, einer auratischen Kinovorführung, abgeschnitten bleiben. Die Gefahr einer Entfremdung vom Gegenstand, auch der Mißinterpretationen und der Selbstgenügsamkeit in Forschung und Wissenschaft wäre die Folge dieses bitteren Verzichts.

Auf mehreren Projektseiten dieser Website wird versucht, das zurzeit noch unzureichend gereifte Manifest durch konkrete Entwürfe zu visualisieren, zu popularisieren und dafür zu werben, in Berlin eine Phalanx aus Technik-, Film-, Fernseh- und Kinomuseum an unterschiedlichen Standorten und zur Belebung der Kommunen entstehen zu lassen.

Wir wünschen anregende Unterhaltung bei diesen Hypothesen, erhoffen allerdings eben so manifeste Kritik sowie nachhaltige Debatten & Ideen zum kommenden Kinomuseum!

Berlin, den 25.9.2006 (letzte Änderung: 28.12.2008, Gründungstag des Kinomuseum Berlin e.V. sowie am 21.10.2010